Teil 1: Die Kamera und der Film

Immer, wenn ich eine gebrauchte Kamera kaufe, ob in einem Laden oder im Internet, geht mein erster Griff an den Rückspulknopf. Zeigt dieser einen Widerstand, wird es spannend, denn dann befindet sich in dieser Kamera ein vergessener Film. Diese Filme stecken dann häufig in Patronen, die selbst schon eine Zeitreise für sich sind – meist alte Emulsionen von Agfa oder Kodak, die es schon seit vielen Jahren nicht mehr gibt.

Der Film, den ich aus einer kürzlich erstandenen Retina IIIS geholt habe, einer Messsucher-Kamera, die in den Jahren 1958 bis 1961 produziert wurde, fällt nicht in diese Kategorie. Er ist ein relativ moderner Film, den es bis vor ein paar Jahren noch zu kaufen gab, ein Fuji Superia 1600.  Verkauft wurde er relativ lange, von 1998 bis 2016, und irgendwann in diesem Zeitraum muss die Rolle, die ich in der Retina IIIS fand, belichtet worden sein.

Als ich den im C41-Prozess entwickelten Film zum ersten Mal in Händen hielt,  war auf dem grünlich-grauen Streifen nur mit Mühe ein einziges, blasses Bild zu erkennen. Mit viel Arbeit in der Bildbearbeitungssoftware Luminar gelang es mir, ihm insgesamt sieben Bilder zu entlocken.  Der Umstand, dass die Aufnahmen derart verblasst waren, legt die Vermutung nahe, dass der Superia wohl aus dem ersten Drittel seiner Produktionszeit stammen dürfte. Und das wirft einige Fragen auf.

Wer, zum Beispiel, fotografiert im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends mit einer mechanischen Kamera, die damals schon ein 40 Jahre alter Oldtimer war, und verwendet dafür einen extrem hochempfindlichen, nicht gerade billigen Film? Und warum macht er auf diesem Film nur sechs Aufnahmen unter Lichtverhältnissen, bei denen ein 100 oder 200 ASA-Film viel angebrachter gewesen wäre, und lässt den Film danach einfach in der Kamera, ohne ihn zu Ende zu belichten oder zurück zu spulen?

Hat der Fotograf die Kamera in eine Schublade gelegt und vergessen? Hat er sie verloren? Wurde sie ihm gestohlen? Ist ihm etwas zugestoßen? Auf welchen verschlungenen Wegen ist die Retina mit dem vergessenen Film auf Ebay gelangt, wo ich sie ersteigert habe?

Oder war alles ganz anders? Hat jemand die Retina IIIS erst kürzlich bekommen und einen überlagerten Superia 1600 eingelegt, um ihre Funktion zu testen? Aber warum hat er dann den Film nicht wieder herausgenommen und entwickeln lassen? Fragen über Fragen. Keine von ihnen kann ich beantworten, und das einzige, woran ich mich halten kann, sind die Bilder, die ich diesem vergessenen Film abringen konnte …

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