Ich reise seit Jahrzehnten. Und seit Jahrzehnten fotografiere ich. Auch auf Reisen. Ist ja klar, oder? Nicht unbedingt. Ich hatte eine Zeit, in der ich auf meine Reisen ganz bewusst keinen Fotoapparat mitgenommen habe. Wenn ich schon das ganze Jahr über professionell fotografiere, so war damals mein Standpunkt, will ich mich im Urlaub davon erholen. Stattdessen habe ich Reisetagebuch geschrieben, und so besitze ich von Motorradreisen, auf denen ich kein einziges Foto gemacht habe, zumindest die Aufzeichnungen, die ich, auf Campingplätzen vor dem Zelt sitzend, auf Fähren und in Cafés in eine abgewetzte Kladde hineingeschrieben habe. Heute bedaure ich manchmal, dass ich nicht wenigstens eine alte Klappkamera wie die Kodak Retina I, die sich damals schon in meinem Besitz befand, mitgenommen und hin und wieder auf den Auslöser gedrückt habe, aber was soll’s? Ich kann es heute nicht mehr ändern, und die bilderlosen Reisen bekommen, wenn ich die Aufzeichnungen darüber lese, einen ganz eigenen Charakter. Wie etwas, das einem jemand am Lagerfeuer erzählt, ohne dass er einem auf seinem Smartphone Bilder dazu zeigt. Solche Reisen sind in meinem Kopfkino besondere Ereignisse: Stummfilme ohne Bild, die nur aus Untertiteln bestehen.

Und damals waren uns andere Dinge wichtiger. Ich habe Reisen unternommen, auf denen hatten wir auf dem wackeligen Gepäckträger einer DKW RT 250/2 einen batteriebetriebenen Reiseplattenspieler mit zwei Dutzend unserer Lieblingsscheiben dabei, die wir dann beim wilden Campen in nordspanischen Flussbetten rauf und runter gehört haben, aber keine Kamera. Zum Glück stieß auf dieser Reise ein guter Freund mit seiner Minolta Spiegelreflexkamera zu uns, mit der wir dann doch ein paar Schwarzweißfilme voller wundervoll eingefangener Erinnerungen aufgenommen haben.

Eine Reise ohne Fotoapparat – DKW RT 250/2 (rechts) und Adler M 250 in Katalonien 1972

Natürlich habe ich später auch andere, in fotografischer Hinsicht sehr viel ergiebigere Reisen unternommen. Die Motorräder wurden leistungsfähiger, die Gepäcksysteme ausgefeilter, und manchmal war ich auch mit einem Beiwagengespann unterwegs und konnte sogar eine professionelle Nikon- oder Leica-Ausrüstung mit mehreren Objektiven und zwei Dutzend Ektachrome-Filme mitnehmen. Damals kam mir das wie der fotografische Overkill vor, auf privaten Reisen Dias zu schießen wie bei einer professionellen Fotoreportage und danach dann acht Diakästen im Regal stehen zu haben, die sich später „eh keiner anschaut“. Heute sehe ich das aus einem anderen Blickwinkel. Bis vor kurzem entstanden auf meinen Reisen neben meinen Tagebüchern, die ich immer noch schreibe,  Tausende von Digitalfotos, gegen die die paar Diakästen von einst eine geradezu lächerliche Ausbeute darstellen. Diese fotografische Springflut schaut nun wirklich keiner mehr an, und um die Dias von damals, die ich erst vor kurzem eingescannt habe, bin ich heute heilfroh.

Eine Reise mit großer Ausrüstung - Schwer beladene MZ ETZ 250 beim Überqueren der Alpen 1989

Eine Reise mit großer Ausrüstung – Schwer beladene MZ ETZ 250 beim Überqueren der Alpen 1989

Wahrscheinlich werden die unzähligen Digitalbilder von heute in zwanzig, dreißig Jahren einen ebenso wertvollen Schatz darstellen wie heute ein vergessener Schwarzweißfilm, den man per Zufall beim Einscannen seines Archivs entdeckt. Aber dazu müssten sie erst einmal diese zwei, drei Jahrzehnte überleben. Was wird mit unseren beständig wachsenden Fotomediatheken in Zukunft passieren? Werden ihre Datenformate in fünfzig Jahren noch zu lesen sein, werden die diversen Clouds dann noch am digitalen Himmel stehen? Mein analoges Fotoarchiv, das in Form von Ordnern und Diaboxen mehrere Regalmeter füllt, hat gute Chancen, hundert und mehr Jahre alt zu werden, es kann und wird mich überleben und sollte es irgendwann in der Zukunft noch jemanden interessieren, könnte er ohne große Mühe darauf zugreifen so wie uns heute Negative und Abzüge aus der Frühzeit der Fotografie zur Verfügung stehen. Ich habe erst vor kurzem alte Farbnegative aus den 60er-Jahren eingescannt, die meine Eltern auf einer Urlaubsreise gemacht haben. Gut, die Farben waren ein wenig verblasst, aber das hat ja seinen eigenen, nostalgischen Charme.

Meine Mutter 1967 in Paris. Agfacolor Film, eingescannt nach 50 Jahren

Meine Mutter 1967 in Paris. Agfacolor Film, eingescannt nach 50 Jahren

Vor ein paar Wochen bin ich wieder von einer Reise zurückgekehrt. Es war meine erste Reise seit meiner Rückkehr zur Analogfotografie, und meine Reisegefährten waren exquisit: Neben meiner wunderbaren Frau begleiteten mich eine Kodak Retina IIIC – die „Große C“, eine Retina IIIc (logischerweise die „kleine c“) als Ersatzkamera, die aber nie zum Einsatz kam, eine Rolleiflex Automat und eine Polaroid SX70 mit zwei Schwarzweiß und zwei Farbfilmen, also insgesamt 32 Aufnahmen.

Die Retina war für die Farbfotos zuständig, die Rolleiflex für Schwarzweiß, und die SX 70 habe ich mitgenommen, um mit meinem Projekt „Travelling SX 70″ eine Brücke von der analogen zur digitalen Welt zu schlagen. Jetzt bin ich wieder zurück in München mit einer Retina, der man es nicht anmerkt, dass sie auf dieser vierwöchigen Reise meine täglich benützte Hauptkamera war, einer leicht lädierten Rolleiflex und 16 belichteten Filmen – zehn 200 ISO-Farbnegativ Kleinbildfilmen und einem halben Dutzend schwarzweißer Rollfilme. Meine Panasonic GX8, die ich wegen eines Videojobs ebenfalls mit dabei hatte, ist als Fotokamera kein einziges Mal zum Einsatz gekommen. Aber – das muss ich zugeben – auf meinem iphone haben sich über 2000 Digitalfotos angesammelt, einfach so, als fotografische Notizen zur Gedächtnisstütze. Und dafür, dass ich die analogen Fotografien, die bis zur Entwicklung in ihren Blechdosen schlummern, später beim Scannen mit Aufnahmeort und Datum versehen kann.

Wie ich mit der reichen Ernte dieser Reise verfahren bin, werde ich demnächst in einem Beitrag schildern.