Wieder einmal unterwegs mit meiner Rolleiflex 3.5F, dieser wunderbaren Maschine mit dem nach fast 60 Jahren immer noch perfekt funktionierenden Selen-Belichtungsmesser.
Durch den magischen Lichtschachtsucher betrachte ich Bamberg, eine nicht weniger magische Stadt, im Zweiten Weltkrieg nur wenig zerstört und danach von durchgeknallten Altstadtmodernisierern weitgehend in Ruhe gelassen. Das obere Auge der Kamera zeigt mir spiegelverkehrt Gebäude, die vor zweihundert Jahren vielleicht schon der Blick von E.T.A. Hoffmann gestreift hat, wenn er aus einem der Wirtshäuser in der Innenstadt zurück zu seinem schmalen Wohnhaus am Schillerplatz ging. Ich drehe am Knopf für die Entfernungseinstellung, sehe, wie sich die Fassaden aus der Unschärfe materialisieren und wieder in sie zurücksinken, wenn ich auf einen mit Aufklebern übersäten Laternenmast scharfstelle. Hin und wieder drücke ich auf den Auslöser und betätige den flüsterleisen Zentralverschluss, dessen metallener Wimpernschlag in den Straßengeräuschen untergeht. 

Die Bilder dieser Stadt: Schaufensterpuppen ohne Oberleib, ein Fotogeschäft, das meinen Vornamen trägt, abgerissene Klimaprotest-Aufkleber an einem gusseisernen Regenrohr, eine Frau im Schaufenster einer Schokolaterie und junge Leute, die auf den Stufen zum Eingang der ehemals fürstbischöflichen Residenz in ihre Mobiltelefone schauen.  Vor einem Schaufenster, in dem eine Porzellanfigur vom Preußenkönig Friedrich II. steht, mitsamt Degen, Stock und Windspielen, hängt ein plüschiger Kunstfellmantel mit unterschiedlichen Leopardenmustern, und die tief stehende Februarsonne wirft wie der Lichtkegel einer Laterna Magica die Silhouetten von zwei Frauen auf die halb durchsichtige Plane eines Gemüsestands mit Bamberger Hörnchen, den kleinen, verdreht geformten Kartoffeln aus dem schweren Boden Oberfrankens. 

Zwei mal finden sich ausgestreckte Hände auf den Bildern der Rolleiflex. Eine gehört zu einem weiteren König, der aber nicht aus Preußen kommt – der erste bayerische König, Max I. Joseph, grüßt als Oberhaupt der Kolonialmacht, die 1806 den Bischof entfürstet hat, huldvoll die neu gewonnen Untertanen. Die andere Hand, schemenhaft mit einer Schablone auf die alten Mauern der Stadt gesprüht, verkündet mit geballter Faust: „Wir bleiben alle!“ Ob die beiden Hände was miteinander zu tun haben?