Fast zwanzig Jahre lang hat sie mich begleitet, meine kleine Kawasaki Estrella, und letztes Jahr habe ich mich von ihr getrennt, um mir als drittes Motorrad einen weiteren Veteranen zu kaufen, eine BMW R 60/2.

Im Nachhinein kann ich eigentlich nur Gutes sagen über diese kleine Japanerin – obwohl, klein ist vielleicht in meinem Fall nicht das richtige Wort, denn bis ich sie verkauft habe, war sie mit ihren 250 Kubikzentimetern neben meinen beiden 200er Adler-Maschinen das hubraumstärkste Pferdchen in meinem Stall.

Das einzige, was mich immer wieder an diesem schönen, unkomplizierten Motorrad befremdet hat, ist die Tatsache, dass sie einfach zu perfekt war mit ihrem gefälligen Retro-Styling und modernen Motor, der mich in all den Jahren kein einziges Mal im Stich gelassen dem hat, obwohl er unter mir nur eine einzige Inspektion in einer Kawasaki-Werkstatt erhalten hat – 2010, etwa zur Hälfte seiner Zeit in meinem Besitz.

Irgendwie ist es schon seltsam: Bei meinen anderen Motorrädern, eines Baujahr 1953, zwei weitere Baujahr 1955, mache ich mir bei jedem seltsamen Geräusch aus dem Motor oder dem Getriebe bange Gedanken, ob ich es mit ihnen überhaupt noch nach Hause schaffen werde, ärgere ich mich über jeden zusätzlichen Tritt auf den Kickstarter, wenn die Maschine mal wieder nicht anspringen will, aber ein Motorrad, das mit seinem elektrischem Anlasser auch nach wochenlanger Standzeit zuverlässig zum Leben erwacht, dessen Motor klaglos dahinschnurrt und dessen Scheibenbremsen es viel zeitgemäßer und sicherer abbremsen als die in die Jahre gekommenen Verzögerungsmechanismen meiner anderen Motorräder, ist mir unter dem Strich dann doch irgendwie langweilig. Und wenn der Tiefgaragenstellplatz in der Großstadt eben nur Raum für drei Maschinen bietet (gerade so), dann ist es dieses kleine fernöstliche Schmuckstück, das letztendlich abgestoßen wird.

Der Abschied von der Kawa (sie war nicht meine einzige Japanerin, ich hatte vor langer Zeit für ein paar Monate eine 400er- Honda) ist jetzt gut eineinhalb Jahre her, und ich habe über der ganzen Beschäftigung mit ihrer etwas kapriziösen Nachfolgerin fast völlig auf sie vergessen. Aber jetzt, als ich an einem trüben Dezembertag einen meiner Latergram-Filme, einen Bergger Panchro 400, eine Stunde lang in hundertfach verdünntem Rodinal stehen ließ, fixierte, wässerte und beim Aufhängen die Negative betrachtete, sah ich sie und stellte fest, was sie doch für eine schöne Maschine war!

Irgendwann im Juni 2020, vor zweieinhalb Jahren, habe ich den Film in einer meiner Rolleiflexen, der ältesten, bei der das Tessar noch Opton-Tessar hieß, belichtet. Es ist einer von den Filmen, die ich längere Zeit in einer Kamera lasse, die ich hin und wieder zur Hand nehme und ein paar Fotos mit ihr mache. Meistens sind transportable Klappkameras oder eine Rollei 35, die ich als Immer-dabei-Kameras in meiner Umhängetasche mit mir führe. Eine zweiäugige 6×6-Kamera ist da eher die Ausnahme, aber es kommt vor, und bei diesem Film war das so.

So hatte ich die Flex wohl im Tankrucksack bei einer kleinen Motorradausfahrt zur Flugwerft in Oberschleißheim, einer Zweigstelle des Deutschen Museums, die ich gerne besuche, wenn ich eine meiner Maschinen ein bisschen bewegen will. Und irgendwie hatte es mir die Estrella, an deren Verkauf ich damals noch nicht dachte, auf dieser Fahrt so angetan, dass ich gleich drei Fotos von ihr schoss.

Die weiteren Bilder auf dem Film sind zum Teil ebenfalls rund um dieses damals coronabedingt geschlossene Museum entstanden. Sie zeigen einen sonnendurchfluteten Laubwald in der Nähe, ein hölzernes Kruzifix und eine Wiese in frühsommerlich überschäumender Blütenpracht, zwischen deren hohen Halmen auf zwei Fotos auch wieder die Estrella hervorspitzt.

Danach geht es für ein Foto in die Stadt, wo ich (ohne mich heute daran erinnern zu können) wieder einmal ein Bild von einem oft von mir fotografierten, auf dem Gehsteig vergessenen Roller gemacht habe, dessen Abdeckplane Wind und Wetter im Lauf der Jahre immer weiter zerfleddert haben. Danach gibt es einen größeren räumlichen Sprung an die oberfränkisch-tschechische Grenze, wo ich um Pfingsten 2020 herum ein paar Videos drehen musste und wieder die Rolleiflex als analoge Begleitkamera dabei hatte – dass sich in ihr noch ein Film mit den latenten Bildern der Kawasaki befand, war mir zu dieser Zeit nicht mehr bewusst

Und das gehört für mich mit zur Magie der analogen Fotografie: Dass ein Film mit seinen 12 oder 36 Bildern, lässt man ihn lange genug in der Kamera, zu einer Klammer wird, mit der man, ohne es zu wissen, mehr oder weniger weit auseinanderliegende Zeitabschnitte miteinander verbinden kann. Mal sind es Stunden, mal sind es Wochen, mal Jahre, und manchmal auch Jahrzehnte, die Bilder als chemische Veränderungen einer hauchdünnen Emulsionsschicht in einem optischen Dornröschenschlaf vor sich dahindämmern, bis sie eines Tages (oder nie) vom Entwickler chemisch wachgeküsst werden.

Das muss man mit digitalen Mitteln erst einmal nachmachen.