Haben Sie sich schon einmal gefragt, was wohl dabei herauskommt, wenn man eine Agfa Silette, eine der vielen eher unscheinbaren Sucherkameras der 1950er und 60er-Jahre, neben eine ausgewachsene Rolleiflex stellt und die beiden eine Nacht lang allein lässt?
Wahrscheinlich nicht, aber meine Antwort wäre: Die Agfa Flexilette.
Sie glauben nicht an heiße Liebesnächte zwischen klassischen Fotoapparaten? Macht nichts, ich tue es im Grunde auch nicht. Aber wenn Sie sich die Agfa Flexilette genauer ansehen, könnte diese Vertreterin der eher seltenen Gattung zweiäugiger Kleinbild-Spiegelreflexkameras tatsächlich das Produkt einer solchen heißen Liebesnacht in der Kameravitrine sein. Mutter Agfa Silette, Vater Rolleiflex. FLEX-SILETTE.
Von der Mama den Body, vom Papa die Augen
Am auffälligsten an der Flexilette, die für mich das Aussehen einer Silette „on steroids“ hat, sind – neben dem Multifunktions-Lichtschacht, auf den ich noch genauer zu sprechen komme – die beiden blauviolett vergüteten Color Apotare. Die relativ kleinen Objektive befinden sich an der Vorderseite eines großzügig dimensionierten Metalltubus, an dem man mittels konzentrischer Ringe sowohl die Entfernung als auch die Belichtung einstellt. Der Trick ist, dass sich hinter dem oberen Apotar ein Spiegel befindet und hinter dem unteren der bewährte Prontor-Zentralverschluss, der Zeiten von 1/500 bis zu 1 Sekunde bietet. Einen Selbstauslöser wie an anderen Zentralverschlüssen, sucht man hier allerdings vergebens. Im Internet wird hin und wieder die Frage gestellt, weshalb die Firma Agfa einer Kamera, die sich ersichtlich an ambitionierte Hobbyfotografen und nicht an Gelegenheitsknipser richtete, nur ihr dreilinsiges Apotar spendiert hat und nicht das hochwertigere, vierlinsige Solinar.
Ein Schnäppchen, das sich nicht verkauft hat
Die Antwort dürfte wohl im mit 199 DM relativ niedrigen Preis liegen, mit dem eine Agfa Flexilette 1960 über den Ladentisch ging. Eine Leica M3 war damals mit 674 DM mehr als drei Mal so teuer – und zwar ohne Objektiv, dafür wurden, sofern es sich um ein Summicron handelte, noch einmal 320 DM fällig. Ich persönlich ich muss sagen, dass ich das Solinar bisher noch nicht vermisst habe. Gut, das Apotar ist kein Summicron, nicht einmal ein Elmar, und auch mit den Xenonen und Xenaren meiner Kodak Retinas kann es in puncto Schärfe nicht mithalten. Aber dafür hat es das samtweiche Zusammenspiel von Schärfe und Unschärfe eines gut korrigieren Dreilinsers – eine optische Eigenschaft, die von keinem modernen Objektiv heutzutage zu kriegen ist.
Übrigens scheint der volkstümliche Preis die Kundschaft damals im Jahr 1960 nicht gerade zum Kauf animiert zu haben, denn die Flexilette wurde schon nach einem Jahr durch die Optima Reflex ersetzt, die nun über ein fest eingebautes Pentaprisma verfügte, wie man es noch heute an digitalen Spiegelreflexkameras findet. Dass Agfa außerdem eine der ersten Belichtungsautomatiken in die Kamera einbaute, macht die meisten Exemplare der Optima Reflex heute – so man überhaupt eine findet – zu einem reinen Dekostück, wenn der eingebaute Selenbelichtungsmesser im Lauf der Jahre das Zeitliche gesegnet hat.
Ein Lob der Einfachheit
Die Flexilette hat keinen Belichtungsmesser, der kaputt gehen könnte, und ist auch sonst von der Ausstattung her eher einfach gehalten: Den Filmtransport und das Spannen des Verschlusses besorgt ein Schnellschalthebel aus Aluminium, zurückgespult wird der Film über einen einfachen Drehknopf, den man zur besseren Handhabung ein Stück weit aus dem Kameragehäuse ziehen kann. Beide befinden sich am Boden der Flexilette, sodass deren Oberseite sehr aufgeräumt wirkt. Außer dem gut ablesbaren Bildzählwerk und einem kleinen Fenster, in dem man den eingelegten Film einstellen kann, ist da nur noch der wegen seiner Größe angenehm zu bedienende Auslöser und natürlich – so wie es sich für eine zweiäugige Spiegelreflexkamera gehört – der auffaltbare Lichtschacht. Auch wenn man hier wieder die Gene der Rolleiflex vermutet, ist dieser Lichtschacht durchaus eine eigenständige Konstruktion. Das geht los mit der sehr hellen Mattscheibe, in die mittig ein großer Schnittbildentfernungsmesser integriert ist. Eine hochkappbare Lupe erleichtert das Einstellen der richtigen Entfernung zusätzlich und sorgt dafür, dass man beim Fotografieren das Gefühl hat, geradezu ins Sucherbild hineingezogen zu werden. Zumindest ich habe, ähnlich wie bei der Rolleiflex, das Gefühl, in ein magisches Kästchen hineinzublicken, das mich die Welt rings um mich vergessen und ganz in die Komposition des Bildes eintauchen lässt.
Lichtschacht Magie – auch im Kleinbildformat
Wer dieses Gefühl schätzt – so wie ich -, dem wird die Flexilette gefallen, zumal keine meiner Rolleiflexen ein helleres Sucherbild hat als die kleine Agfa. Natürlich muss man sich erst einmal daran gewöhnen, dass dieses Bild – wie bei jeder Spiegelreflexkamera mit Lichtschacht – seitenverkehrt ist, und fotografiert man im Hochformat – was bei der Agfa im Gegensatz zur Rolleiflex mit ihren quadratischen Bildformat durchaus vorkommen kann – steht es zusätzlich noch auf dem Kopf, was das exakte Bestimmen des Bildausschnittes zu einem Ding der Unmöglichkeit macht. Dieser Umstand war den Konstrukteuren der Flexilette sehr wohl bewusst, weshalb sie die Kamera mit einem genial einfachen, aber durchaus brauchbaren Durchsichtsucher versahen. Er entsteht praktisch als Nebenprodukt, wenn man den Lichtschacht auffaltet und die Lupe ausklappt. Dann kann man nämlich durch zwei in die Vorder- sowie die Rückwand des Lichtschachtes eingelassene optische Linsen sein Motiv genauso mühelos anvisieren als blicke man durch den optischen Sucher einer normalen Silette. Dieses Bild ist groß, hell und vor allem seitenrichtig, sowohl im Quer- als auch im Hochformat. Scharfstellen muss man allerdings nach wie vor mittels Lupe und Mattscheibe, wozu man rasch von oben in den Lichtschacht schauen muss. Nach kurzer Zeit geht einem das in Fleisch und Blut über, sodass man mit der Flexilette auch auf diese Weise relativ rasche Bildfolgen hinbekommt.
Rolleiflex oder Flexilette? – das ist hier die Frage
Wenn ich also Lust auf eine zweiäugige Kamera mit Lichtschacht habe (und diese Lust überkommt mich ziemlich häufig, weil mir das Fotografieren mit diesen Kameras einfach ein komplett anderes Gefühl vermittelt als meine diversen Messsucherkameras), zu welcher Kamera greife ich dann? Zu einer meiner Rolleis oder der Flexilette? Kommt drauf an, was ich will. Bin ich mehr auf Bildqualität und geringere Schärfentiefe aus, nehme ich eine Rolleiflex oder Rolleicord mit dem 75 mm Tessar, Planar oder Xenar, während für die Straßenfotografie die weniger auffällige und und kurzbrennweitigere Agfa mit ihrem 45 mm Apotar die Kamera der Wahl ist. Auch als Immer-dabei-Apparat eignet sie sich mit ihrer ledernen Bereitschaftstasche hervorragend, wenn auch nicht ganz so gut wie die in dieser Hinsicht unschlagbare, weil kompaktere, Kodak Retina, die außerdem noch einen Belichtungsmesser eingebaut hat. Dafür hat das Apotar der Agfa seinen ganz eigenen Schmelz, sodass ich oft zwischen beiden Kameras hin- und her gerissen bin. Wer die Wahl hat, hat nun einmal die Qual …
Friedhelm Hess
9. Juli 2019 — 6:00
Ein toller Bericht über eine meiner Lieblingskameras:ich besitze beide (Optimareflex und Flexilette) und baute einen Prismensucher in die Flexilette ein weil ich das seitenverkehrte Bild nicht mag und benutze die Kamera öfter als meine Retina IIIc.
Nantwein
9. Juli 2019 — 7:04
Gratuliere zur Optima Reflex,eine interessante Kamera, wenn die Selenzelle noch funktioniert … Bei mir ist es übrigens ganz umgekehrt, ich liebe das Gehirnjogging, das mir das gespiegelte Bild eines Lichtschachtsuchers abverlangt. Aber das mit dem eingebauten Prisma klingt trotzdem spannend! Bleibt das Sucherbild der Flexilette damit so angenehm hell wie mit dem Lichtschachtsucher?