Es begann bei Ebay. Ich suchte nach Objektiven für meine Leica IIIf, gab im Suchfeld „Objektiv 39mm Schraubgewinde“ ein und stieß neben diversen Leica-Optiken auf eine Linse, von der ich bisher noch nicht einmal den Namen gehört hatte: Ein Röschlein-Kreuznach Telenar 3.5/90mm. Wer nicht alles Objektive für die Leica gebaut hat, sagte ich mir, aber dann las ich weiter.
Das Objektiv war gar nicht für die Leica bestimmt, sondern für eine mir bis dahin unbekannte Braun Paxette, und der Verkäufer wies ausdrücklich darauf hin (nicht alle tun das), dass man das Objektiv zwar an eine Leica schrauben, damit aber keine scharfen Bilder machen kann, da sich das Auflagemaß beider Kameras gehörig unterscheidet.
Eine fränkische Kamera mit bayerischen Objektiven
Mein Interesse war geweckt. Eine Kamera der Carl Braun Werke in Nürnberg besaß ich schon, eine Colorette, die ich für zwei Euro vom Wühltisch eines großen Münchner Fotohändlers mitgenommen hatte, zusammen – wie sich später herausstellte – mit einem Film, der für Jahrzehnte belichtet in der Kamera geschlummert hatte. Eine Systemkamera aus dem gleichen Haus – das klang interessant. Vor ein paar Wochen ist mir nun tatsächlich so eine Paxette zugelaufen, eine Super Paxette II BL. Zehn Euro hat sie gekostet mit einem 50mm 1:2.8 Tessar von Carl Zeiss, was bei einer Paxette eine relativ seltene Optik ist, denn eigentlich hat Braun in Nürnberg eher Normalobjektive von kleineren süddeutschen Objektivherstellern wie Enna und Steinheil in München oder Staeble in Altenstadt bei Schongau verbaut.
Als ich die Kamera aus dem Paket und ihrer ledernen Bereitschaftstasche genommen hatte (ich liebe diese Dinger, wirklich!) fiel mir sofort auf: Die Paxette ist ein Qualitätsprodukt. Kompakt und schwer und optisch ein ziemlicher Hingucker: Matt glänzender Chrom, eine intakte, angenehm griffige Belederung und – wie cool ist das denn? – eine bläulich vergütete Glasscheibe vor dem Sucher und dem Fenster für die Leuchtrahmen, die bei bestimmtem Lichteinfall aussieht wie eine Spiegelbrille eines Hippies aus den späten Sechzigern. Passt irgendwie zu ihrem Namen, dachte ich. Schließlich steckt da „pax“ drin, das lateinische Wort für Frieden. Peace, brother!
Kamerahippie mit Spiegelbrille
Dass die Paxette zu ihrer Zeit den Beinamen „Volksschullehrer-Leica“ bekam, kann sicher nicht von ihrem Aussehen herrühren, das alles andere als beamtenhaft-bieder ist. Im Gegenteil, es weist einige Besonderheiten auf, wie man sie sonst an keiner anderen Kamera findet. Nein, es lag wohl eher daran, dass sie für einen deutlich geringeren Preis vieles bot, was sonst nur bei den dreimal so teuren Leicas ihrer Zeit zu finden war: Wechselobjektive mit passenden Leuchtrahmen und einen mit allen diesen Objektiven gekuppelten Entfernungsmesser.
Geht man nur nach den Features, dann bekam man bei der Paxette – zumindest bei meiner Super Paxette II BL – sogar deutlich mehr als bei jeder damals erhältlichen Leica. Nämlich einen – wenn auch ungekoppelten – Belichtungsmesser, den man bei der Leica bis zum Erscheinen der M5 als Zusatzgerät erwerben musste. Der in meiner Paxette verbaute Belichtungsmesser – ein Selenzellengerät das seinen Hersteller, die Firma Bewi, mit einem kleinen roten Knopf in der Mitte seines Einstellrades kund tut – funktioniert sogar noch. Dass in seine Wabenscheibe auch das kleine, runde Messfenster des Entfernungsmessers integriert wurde, ist eines der vielen nett gemachten Details, die zum eleganten und durchdachten Gesamteindruck der Paxette beitragen.
Nein, ein Volksschullehrer, den eine böse Fee in eine Kamera verwandelt hat, sieht anders aus. Wenn ich die Super Paxette neben meine Leica M 3 stelle, ist es eher die Leica, die bieder und gewöhnlich wirkt – zeitloses Design hin oder her. Und ein gutes Stück größer als die Paxette ist sie auch, die M3.
Messucherkamera mal anders
Vielleicht haben wir uns an das Design der Leica als letzter überlebender Messucherkamera im Lauf der Jahre so sehr gewöhnt, dass uns nach anderen Prinzipien konzipierte Kameras aus den 1950er und 60er-Jahren heute ein wenig sonderbar vorkommen. Und sonderbar ist sie, die Super Paxette II BL, kein Zweifel. Das fängt mit dem Zentralverschluss an, einem Prontor SVS, der Verschlusszeiten von einer Sekunde bis zu 1/500 Sekunde bietet. Zentralverschlüsse und Wechselobjektive sind nicht unbedingt füreinander geschaffen, aber im Gegensatz zu meinen Kodak Retinas der IIIer-Serie mit ihren umständlich handzuhabenden Vorsatzobjektiven ist die Sache mit den Wechselobjektiven bei der Paxette recht unkompliziert gelöst. Mit ein paar Drehungen hat man das Tessar komplett abgeschraubt und könnte es nun durch eine der vielen erfrischend kompakten Wechseloptiken ersetzen, die sich Braun von den unterschiedlichsten Herstellern hat fertigen lassen. Leider besitze ich (noch) keines dieser Objektive, sodass ich über deren Handhabung und Bildqualität nichts sagen kann, aber einfacher als bei der Retina, bei der man bei jedem einzelnen Bild die Entfernungseinstellung des Normalobjektivs von Hand auf zusätzliche Skalen für die Vorsatzobjektive übertragen muss, dürfte die Fotografie mit Wechseloptiken bei der Paxette allemal sein.
Das Bedienungskonzept: Ungewöhnlich
Beim Fotografieren der Paxette hat man ein paar Dinge zu beachten. So muss man, um ein neues Bild schießen zu können, den Schnellschalthebel zweimal bedienen – einmal zum Filmtransport und einmal zum Verschlussspannen. Auch hier erinnert die Paxette an die Leica M3, von der die ersten Modelle ebenfalls so einen „double action“-Hebel hatten. Ein ganz ähnlicher Hebel auf der anderen Seite der Paxette dient übrigens zum Rückspulen des Films in die Patrone, ein Rändelrad oder gar eine Kurbel wie bei anderen Kameras sucht man an dieser Kamera vergebens. Für mich ist diese Lösung, die wohl dem links platzierten Belichtungsmesser geschuldet ist, das einzige wirklich unergonomische Bedienungselement der Paxette. Durch die ständig zu wiederholende und in diesem Zusammenhang irgendwie unnatürlich wirkende Aufziehbewegung braucht man zum Zurückspulen des Films deutlich länger als mit der von unzähligen anderen Kameras gelernten Dreherei, und außerdem fragt man sich ständig, ob der Film jetzt schon in der Patrone ist oder nicht, weil einem das Gefühl des sich verändernden Widerstands fehlt, das einem Drehknopf oder Kurbel vermitteln. Hinzu kommt, dass während des ganzen Rückspulvorganges ein Knopf an der Oberseite der Kamera permanent gedrückt werden muss. Lässt man ihn los, stoppt das Ganze sofort. Dass dieser Knopf auch noch genau dort sitzt, wo „normale“ Kameras den Auslöser haben, hat bestimmt einige Fotografen, die zum ersten Mal eine Paxette in der Hand hielten, ziemlich verwirrt – mich eingeschlossen.
Mechanischer Indvidualismus
Der wirkliche Auslöser der Paxette wiederum sitzt weiter unten an der Vorderseite der Kamera direkt am Verschluss. Er ist ein ziemlich dick geratener Rändelknopf, den man mit dem Mittelfinger nach unten drückt. Eine etwas ungewöhnliche Anordnung, an die man sich aber rasch gewöhnt. Und wenn man einen Drahtauslöser benötigt – den man schließlich nicht in einen Rändelknopf schrauben kann -, wird man in einem der vier ziemlich spacig aussehenden „Stützpfeiler“ des Verschlusses fündig, die wie die Heckflossen einer Interkontinentalrakete rings um den Prontor SVS angeordnet sind. Da sage einer, dass Volksschullehrer keine Individualisten sind.
Aber damit nicht genug mit den Eigenheiten dieser Kamera. Neben dem Bildzählwerk, das sich direkt vor dem kalten Blitzschuh befindet und bei aufgestecktem Blitz nur mit Mühe ablesbar ist, wäre da noch die Rückwand zu nennen. Die ist nämlich nicht etwa aufklappbar wie bei vielen anderen Kameras. sondern kann, nachdem man eine große Rändelschraube am Boden der Kamera aufgeschraubt hat, komplett nach unten abgezogen werden und ermöglicht damit ein sehr bequemes Einlegen eines neuen Films.
Wer hat da wen kopiert?
Am Anfang war ich ein wenig ratlos, wie ich die Paxette denn öffnen sollte, aber nachdem ich diesem Prinzip der abnehmbaren Rückwand erst einmal auf die Schliche gekommen war, kam es mir seltsam vertraut vor. Irgendwo hatte ich das schon einmal gesehen, und zwar bei … einer Leica … richtig! Bei meiner Leica CL funktioniert das Laden und Entnehmen des Films auf genau dieselbe Weise. Also schnell die CL geholt und neben die Paxette gestellt, und siehe da: Die Ähnlichkeit ist geradezu unheimlich. Bei beiden Kameras wird die Rückwand als Ganzes abgezogen, bei beiden Kameras lässt die Filmandruckplatte nach unten wegklapeen, bei beiden Kameras ist der Mechanismus zum Entriegeln der Rückwand mittig angeordnet, rings um das Stativgewinde.
Die beiden Kameras könnten Geschwister sein, nur dass die Leica CL ein Kind der 70er Jahre ist und somit gute zehn Jahre jünger als die Super Paxette.
Es sieht ganz so aus, als hätte man sich bei Leitz von der Volksschullehrer-Leica gehörig was abgeschaut, als man an die Konstruktion der später in Japan bei Minolta gebauten Kompaktleica CL ging. So betrachtet könnte man die Leica CL mit Fug und Recht als „Hochschullehrer-Paxette“ bezeichnen.
Fotografieren mit der Paxette: Erstaunlich flüssig
Wie aber bewährt sich die Super Paxette im fotografischen Einsatz? Alles in allem recht gut, würde ich sagen, wenn man sich erst einmal an die diversen Eigenheiten ihres Bedienungskonzepts gewöhnt hatte, aber das ging bei mir ziemlich rasch. Die auf den ersten Blick ungewöhnliche Platzierung des Auslöseknopfs zum Beispiel bereitete mir schon nach ein paar Bildern keine Probleme mehr. Im Gegenteil, irgendwie fand ich es sogar ziemlich stimmig, mit dem Mittelfinger anstatt mit dem Zeigefinger auszulösen, während ich den Film mit dem Daumen weitertransportierte. Die linke Hand konnte dabei am Objektiv bleiben um scharf zu stellen – alles miteinander recht gute Voraussetzungen, um bei der Straßenfotografie rasch mehrere Bilder hintereinander zu schießen. Einzig die zweimalige Betätigung des Schnellspannhebels wollte mir nicht sofort ins muskuläre Gedächtnis übergehen, weshalb ich dann doch einige Aufnahmen mangels eines gespannten Verschlusses verpasste.
Der Sucher der Super Paxette ist ordentlich groß und hell, wenn auch ein wenig gelbstichig (was wohl der blauen „Spiegelbrille“ der Kamera geschuldet ist), und der runde Fleck des Entfernungsmessers ist scharf abgegrenzt und gut zu sehen. Mit dem 50er Tessar lässt sich die Kamera auch bei offener Blende exakt scharfstellen, wie das allerdings mit den Teleobjektiven ist – immerhin gibt es mehrere 135er unterschiedlicher Hersteller – , kann ich mangels einer solchen Optik nicht sagen. Ich denke aber, dass das angesichts der recht kurzen Basislänge des Entfernungsmessers eine ziemliche Herausforderung sein dürfte. Und weil wir gerade beim Sucher sind, die Paxette weist auch dort eine kleine Besonderheit auf, die ich noch bei keiner anderen Kamera gesehen habe: Hat man die Paxette ausgelöst, wird der äußerste linke Strich des Leuchtrahmens für das 50mm Objektivs abgedunkelt und ist erst wieder zu sehen, wenn der Film weitertransportiert wurde. Ob das nur bei meinem Exemplar so ist oder bei allen, kann ich nicht sagen. Wäre es beabsichtigt, so wäre es eine nette Idee.
Weniger gelungen als den Sucher finde ich das Einstellen der Blende. Der leider nicht mit Raststufen versehene Drehring dafür befindet sich nämlich ganz vorne am Objektiv, direkt vor dem Ring, mit dem man die Entfernung einstellt. Und das kann in der Praxis schon mal dazu führen kann, dass man anstatt zu fokussieren die Blende verstellt. Mit der Zeit, schätze ich, wird man sich daran gewöhnen, den vordersten Ring am Objektiv möglichst nicht zu berühren, aber bis das einmal gelernt ist, verpasst man mit der Paxette doch das eine oder andere schnelle Foto.
Ansonsten ist die Fotografie mit der Paxette eine Freude. Die Kamera ist sehr kompakt – sie ist sogar ein paar Millimeter kürzer und niedriger als die Leica CL -, liegt mit ihren abgerundeten Formen sehr angenehm in der Hand und ist schwer genug, um auch die 1/15 Sekunde nicht zu einer Wackelpartie werden zu lassen. Die Paxette hat keine Ösen für die Befestigung eines Trageriemens, was sie zwar elegant aussehen lässt, aber die Verwendung einer Bereitschaftstasche fast zwingend erforderlich macht. Mich stört das nicht, ich mag dieses von vielen Fotografen ungeliebte Accessoire wegen des Schutzes, den es der Kamera bietet und wegen des guten Gefühls, so eine maßgeschneiderte, sechzig Jahre alte Ledertasche voller ausgeklügelter Kameramechanik über der Schulter hängen zu haben.
Hier sind ein paar Bilder vom ersten Film, den ich mit meinem „Volksschullehrer“ aufgenommen habe. Ich denke, sie sprechen für sich – und für die Paxette.
Joachim Frühauf
16. März 2022 — 8:16
Ich habe die Braun Super Paxette, mehrere Leica’s aber meine absolute Lieblings Kamera ist und bleibt die Mittelformat Hasselblad C500
Nantwein
22. März 2022 — 15:29
Die C500 ist eine tolle Kamera, kein Zweifel. Und das Mittelformat natürlich ganz was anderes als Kleinbild, besonders wenn man die guten Carl-Zeiss-Objektive der Hasselblad hat …
Michael Khan
15. Oktober 2022 — 20:02
Ich habe herausgefunden – falls das jemanden interessiert – dass die Paxette-Objektive sich auch in frühe sowjetische SLR des Herstellers KMZ mit M39-Gewinde (am bekanntesten ist da die Zenit 3M) schrauben lassen. Wegen des größeren Auflagemaßes kann man damit nicht auf unendlich fokussieren, man kann aber hervorragend Makroaufnahmen machen.
Nantwein
16. Oktober 2022 — 18:22
Danke für den Tipp, lieber Michael! Für die Paxette gibt es ja eine Reihe recht ungewöhnlicher und auch durchaus guter Objektive. Schade, dass das Auflagemaß ein anderes ist als bei der Schraubleica, denn dann hätte man auf beiden Kameras eine schöne Erweiterung des Objektivspektrums …