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Ein Fotografie-Blog

Ottos Mops – Latergram Februar 2019

Zwei Filme stehen, aufgespult auf eine durchsichtige Plastikspirale, in der alten Jobodose vor mir in der Küchenspüle. Als schlanke Rollen aus schwarzem Lichtschutzpapier sind sie ein Jahr lang in meinem Schrank gestanden: „Rolleiflex 3.5F“ stand handgeschrieben auf den weißen EXPOSED-Bauchbinden und „02-19“. Im Februar 2019, genau vor einem Jahr also, habe ich die beiden Fomapan 200 belichtet. Ich lasse mein Gedächtnis zurückwandern in der Zeit, zwölf Monate, Februar … Rolleiflex … das war doch …
Dunkel erinnere ich mich an einen kalten, schneelosen Nachmittag in der Fußgängerzone. In dieser mit kaugummiverklebten Betonpflasteröde, dem seelenlosen Erbe der olympiabesoffenen 1970er-Jahre, inzwischen zur gesichtslosen, von weltweit verkaufenden Kettenläden und asiatischen Pauschaltouristen dominierten Konsummeile verkommen – ein Ort, wie man ihn in unzähligen Städten auf diesem gnadenlos durchglobalisierten Planeten finden kann. Dazwischen Münchner Restbestände – der Augustiner in der Neuhauserstraße, die Michaelskirche, in deren kalter Krypta ein ausgeweideter König Ludwig seit 133 Jahren in seinem langsam vor sich hin korrodierenden Metallsarkophag liegt.

Latergram ist meine Antwort auf Instagram – ich belichte einen Film und lege ihn für einige Zeit in die Schublade, ohne ihn zu entwickeln. Manchmal mache ich mir während der Aufnahmen Notizen, anhand derer ich versuche, mir die Bilder auf dem Film vorzustellen, bevor ich ihn entwickle. Manchmal vergesse ich das und lasse mich von dem überraschen, was ich da vor vielen Monaten für fotografierenswert gehalten habe …

Faschingssonntag. In München. Eine eher traurige Veranstaltung, zumindest für mich. Der ich, mit der Rolleiflex um den Hals, im Strom mehr oder weniger maskierter Menschen mitschwimme,  zwei, drei Mal vom Stachus mit seinem Eislauf-Halligalli hinauf zum Marienplatz, wo die Patrona Bavariae in goldener Ungerührtheit über allem steht, und wieder zurück.

Was ich hier vor einem Jahr fotografiert habe, weiß ich nicht mehr genau. Während ich zu jeder vollen Minute die Jobo-Dose mit den beiden in hochverdünntem Rodinal badenden Fomapan-Filmen sechs Mal auf den Kopf stelle, visualisiere ich in meinem Gedächtnis Bühnen mit irgendwelchen Stimmungs-Bands, kostümierte Menschen, die vor Schaufenstern voller modisch angezogener Puppen stehen und Bier trinken,  einen verkleideten Mops und einen Donald Trump in Stöckelschuhen. Ich sehe mich zwischen all den launig kostümierten Menschen stehen. Von oben in den Lichtschacht schauend, der für mich eine eigene Welt aufmacht, so als würde ich in einem Boot sitzen und durch einen dieser Kästen mit verglastem Boden hinab ins Meer schauen auf die sich darin tummelnden exotischen Fische, ein entrückter Beobachter, der sich in einem komplett anderen Element befindet. Mein mich von allem anderen trennendes Element an diesem kalten Februartag vor zwölf Monaten ist die Fotografie. Eine Fotografie, wie es sie so eigentlich gar nicht mehr gibt. Die ihre Bilder nicht sofort auf irgendwelchen Bildschirmen preisgibt, sondern in schlanke Papierrollen verpackt wie Fische in einer Tageszeitung.

 

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