Vor ein paar Tagen ist es mir zum ersten Mal passiert, dass ich in der Stadt ein interessantes Fotomotiv sah, eines, das so schnell nicht wieder kommt und hervorragend in eines meiner zahlreichen Projekte gepasst hätte, und ich mir sagte: Schade, dass ich keine Kamera dabei habe.
Dabei hatte ich natürlich eine dabei, die Kamera in meinem iphone, die – das kann man nicht anders sagen – bei gutem Licht hervorragende Bilder macht. Und das Licht war gut an diesem Tag, es war sogar perfekt, aber trotzdem: Anstatt das Mobiltelefon aus der Tasche zu ziehen und die Aufnahme zu machen, habe ich das Motiv in mein Album ungemachter Bilder gepackt, das in einer ziemlich unaufgeräumten Ecke meines Gedächtnisses herumliegt.
Die Tatsache, dass ich auf ein Bild verzichtet habe, das ich ohne Probleme hätte aufnehmen können, hat mich im Nachhinein nachdenklich gemacht. Schließlich war ich schon immer ein Verfechter der alten Fotografenweisheit, dass die beste Kamera diejenige ist, die man bei sich hat. Was also ist mit mir geschehen? Bin ich in der seit zwei Jahren mehr oder weniger intensiv betriebenen Re-Analogisierung meines Lebens wieder einmal an einem entscheidenden Punkt angelangt? Beim Schreiben habe ich die Umkehr ja schon länger geschafft, oder sagen wir besser: Beim Terminkalenderführen und beim Notizenmachen. Da liegen digitale Helferlein wie ical und Evernote, die jahrelang meine täglichen Begleiter waren, seit Monaten fast ungenutzt auf den Festplatten und Homescreens meiner diversen Geräte herum.
Wenn ich länger darüber nachdenke, dann fällt mir zu dem nicht gemachten iphone-Foto ein, dass ich die Bilder auf meinem Mobiltelefon schon seit einiger Zeit nicht mehr als Fotos wahrnehme. Wenn ich auf den weißen Punkt auf dem Bildschirm der Kamera-App drücke, habe ich zunehmend das Gefühl, nicht mehr ein Foto im klassischen Sinn zu schießen, sondern einer digitalen Bilderzeugungsmaschine einen optischen Eindruck zu übergeben, mit dem sie dann nach dem Gutdünken ihrer Programmierer Dinge tut, die nur noch teilweise in meinem Entscheidungsbereich liegen. Irgendwie fühle ich mich wie ein Bauer, der eine Wagenladung Weizenkörner in den Silo einer Mühle kippt anstatt sie zu Hause selbst zu vermahlen und sein Brot daraus zu backen.
Ein Symptom dafür, dass sich mein Umgang mit digital erzeugten Bildern in letzter Zeit verändert hat, ist die Tatsache, dass ich die meisten meiner Smartphone-Fotos sofort vergesse, kaum dass ich sie gemacht habe. Und zwar so gründlich, dass ich jedes Mal, wenn ich in den schier unendlichen Weiten der digitalen „camera roll“ auf meinem iphone nach etwas Bestimmtem suche, auf mir völlig unbekannte Bilder stoße. Insofern hätte es ja fast schon etwas Gutes, dass mir dann die Fotos-App – ungefragt und meines Wissens auch nicht abschaltbar – von Zeit zu Zeit so genannte “Rückblicke” auf den Homescreen meines Mobiltelefons schiebt, von denen sie glaubt, dass sie mich interessieren könnten. “Sommer 2016”, “An diesem Tag, 12.Juli 2016” heißen diese automatisch erstellten Alben, die man sich auch als mit irgendeiner Musik untermalte Diashow ansehen kann. Gut gemeint von den Programmierern, aber mir kommt so etwas eher wie ein Eindringen in meine Privatsphäre vor. Übertragen in die analoge Welt wäre das in etwa so, als hätte sich jemand unerlaubt Farbabzüge von meinen Negativen gemacht uns sie nach eigenem Gutdünken in irgendwelche Alben geklebt, die er mir dann zu den unmöglichsten Zeiten ungefragt unter die Nase hält, während er mir von einem Kassettenrekorder seichte Wohlfühlmusik vorspielt.
Ich glaube, es ist diese digitale Übergriffigkeit, die mir in zunehmendem Maß die Fotografie mit dem Smartphone verleidet.
Robert Briese
13. Januar 2020 — 11:13
Sehr schön beschrieben, so etwas kenne ich auch. Wobei ich bewußt kein Smartphone mit besonderer Kamera habe da ich zum Fotografieren gerne eine Kamera in der Hand habe. Und die sich selbst erstellende Fotocollage kenne ich gottseidank von meinem Gerät nicht.
Die Smartphone Kamera ist bei mir mehr ein Notizzettel, z.B. sehr gut um Arbeitsschritte zu dokumentieren wenn ich an einer alten Kamera bastele oder um ein Blatt Musiknoten abzulichten etc.
Letzten Sommer in den Dünen Dänemarks hatte ich aber auch so einen Moment, habe mich dann aber in Bruchteilen einer Sekunde entschieden doch das Bild mit dem Handy zu machen – bis ich die Yashica Mat die ich in der Tasche hatte soweit gehabt hätte wäre der Moment vorbei gewesen, zumal war es windig und der Sand flog die ganze Zeit. Im Nachhinein bin ich froh dass ich das Smartphone gezückt habe aber ich hätte das Bild doch viel lieber analog gehabt.. Immerhin bislang das erste Bild vom Smartphone dass es bei mir auch auf Papier geschafft hat.
Nantwein
13. Januar 2020 — 11:27
Hallo Robert,
das mit dem Smartphone als fotografisches Notizbuch mache ich auch so, für Aufnahmen nur als Gedächtnisstütze ist mir Film dann doch zu schade. Allerdings habe ich mich neulich beobachtet, wie ich das Etikett einer Weinflasche fotografiert habe und mir danach gefragt, weshalb ich mit die paar Worte, auf die es ankam, nicht einfach in mein analoges Notizbuch geschrieben habe – das wäre fast genauso schnell gewesen, und ich hätte die Notiz später viel einfacher wiedergefunden. Klar, bei Musiknoten ist das was anderes …
Auch den Moment am Strand kann ich nachvollziehen, ist mir auch schon passiert. Bringt ja nix, wenn man dogmatisch ist …
Beste Grüße
Thomas